Teil I veröffentlicht in VDSI* aktuell 2/2020 (April)

*Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit e.V.

Die digitale Transformation schreitet voran und wie soll es anders sein: Sie macht auch vor dem Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht halt. Digitalisierung, Individualisierung und Konnektivität ist auch in diesem Bereich ein Trend und so ist der Begriff „E-Health“ zum geflügelten Wort im betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) geworden.

 

Lt. Bundesgesundheitsministerium ist „…E-Health […] ein Oberbegriff für ein breites Spektrum von IKT[1]-gestützten Anwendungen, in denen Informationen elektronisch verarbeitet, über sichere Datenverbindungen ausgetauscht und Behandlungs- und Betreuungsprozesse von Patienten und Patientinnen unterstützt werden können...“[2].
Auf den betrieblichen Alltag übertragen, gehören daz

u z. B. das Intranet mit gesund-heitsrelevanten Informationen, die digitale Steuerung von Umgebungsbedingungen oder die Anmeldung zu Vorträgen/Kursen per Klick. Auch die digitale betriebliche Gesundheitsförderung über mobile Endgeräte, die M-Health[3], ist hier einzuordnen.

E-Health im Betrieb

Digitale Verhaltensprävention

Nutzen und Wirkung von M-Health

In einer zunehmend ortsunabhängigen und zeitlich flexibleren Arbeitswelt können durch M-Health mehr Personen erreicht werden. Die Möglichkeit von Wettbewerben (Gamification), wie z.B. „Wer erreicht die meisten Schritte im Zeitraum x?“ lässt sich dem Thema spielerisch nähern und motiviert zur Teilnahme. Es hat zudem den positiven Site-Effekt auf das Betriebsklima, der Unternehmenskultur und bewirkt ein „Wir“-Gefühl selbst bei räumlicher und zeitlicher Trennung. Damit es aber kein kurzzeitiger Hype ist, der schnell den Reiz des Neuen verliert und eine langfristige Verhaltensänderung erreicht wird, sollte eine intrinsische Motivation sichergestellt sein. Diese kann durch begleitende Maßnahmen die längerfristig angelegt sind, wie z. B. ein abendlicher Lauftreff mit Kollegen vor Ort und abschließendem Beisammensein oder begleitendem Online-Training, gefördert werden.

Parallel zu wachsenden psychischen Fehlbelastungen, gibt es eine wachsende Anzahl von Anti-Stress-Apps; auch von Krankenkassen empfohlen. Anti-Stress-Apps nutzen Biofeedback, um Stress anzuzeigen. Wer aufgeregt ist, bei dem steigt der Puls oder auch der Blutdruck und wie beim Pulsmesser kann die App dann den Stresslevel visualisieren. So kann der Mensch bewusst dagegen steuern, indem er die Übungen der App zur Stressreduktion durchführt.

Besonders für KMU sind Gesundheitsplattformen, Apps etc. interessant, da sich so mit anderen Unternehmen und mit Gesundheitsexperten vernetzt werden kann und dadurch betriebliche Gesundheitsförderung vielfach erst umsetzbar wird.

Kritisches zu M-Health

Es gibt weit mehr als 100.000 dieser Programme und es werden stetig mehr. Eine Studie aus dem Jahr 2016 belegt, dass viele eher auf einen kurzfristigen Erfolg abzielen, es keine einheitlichen Qualitäts- und Sicherheitsstandards gibt und sie medizinisch betrachtet häufig zweifelhaft sind. So wurde in besagter Studie festgestellt, dass 20 von 30 getesteten Apps zur Gewichtsreduzierung, wissenschaftlich basierte Strategien nur rudimentär einbinden. Zudem würden Verhaltensstrategien fehlen, die den Betreffenden helfen, Stress zu reduzieren, sowie die Motivation und die Problemlösungskompetenz zu fördern. Jemand, der stressanfällig ist und Gewichtsprobleme hat, schlägt sich so womöglich mit 3 Apps herum: einem Schrittzähler, einer Ernährungs-App und einer Anti-Stress-App.

Und es ist auch nicht gesagt, dass wenn die Anti-Stress App anschlägt, der Betreffende seine aktuelle Tätigkeit, die womöglich unmittelbar damit in Zusammenhang steht, unterbrechen kann. Darüber hinaus gilt es zu beachten, dass Anti-Stress Apps Werte messen, die nicht nur durch Stress beeinflusst werden, sondern auch durch Freude, Bewegung oder sogar gesundheitliche Probleme. Zudem gilt es, eine langfristige Verhaltensänderung zu bewirken und den Stressursachen auf den Grund zu gehen. Coaching-Apps könnten hier helfen sich zu reflektieren oder Hilfe zur Selbsthilfe zu erhalten. Begleitend werden auch immer mehr Online-Trainings für unterschiedlichste Themen angeboten. Schade nur, wenn die Digitalisierung hier die Interaktion mit einem realen Menschen ersetzt, der bei Fragen sofort reagieren und ggf. auch korrigierend einwirken kann. Denn am Ende des Tages gehören wir immer noch zur humanoiden Spezies der Gattung Mensch, die den sozialen Austausch, die Kommunikation brauchen. Daher kann in einer zunehmend zeitlichen und räumlich flexiblen Arbeitswelt, mit immer weniger persönlichen Kontakten, ein zu viel an M-Health eher Stress erzeugen, mental belasten, statt unterstützende Wirkung zu zeigen.

Fazit

Beim betrieblichen Einsatz von M-Health sollte 1. darauf geachtet werden, dass Apps evidenzbasierte Kriterien abbilden, 2. dass sie sich sinnvoll ergänzen, solange es noch keine gemeinsame App mit den entsprechenden Gütekriterien für z. B. Bewegung, Stress, Ernährung, Schlaf und Sucht gibt, 3. sichergestellt sein, dass der persönliche Austausch mit Kollegen, Coaches, etc., sei es auch über virtuelle Medien, gefördert und nicht ersetzt wird sowie 4. von weiteren Maßnahmen die eine langfristige Verhaltensänderung forcieren, flankiert werden. Hierbei können Online-Trainings mit versierten Experten die räumliche Barriere überwinden und zudem helfen soziale Kontakte aufrechtzuerhalten, als auch ein WIR-Gefühl zu erzeugen.

[1] Informations- und Kommunikationstechnologie

[2]  (www.bundesgesundheitsministerium.de, 2020)

[3] M-Health = Mobile Health (s. Grafik)

Digitale Verhältnisprävention

Nutzen und Wirkung

Auch in diesem Bereich wird es zunehmend digitaler. Bei Neu- oder auch Umbauten wird darauf geachtet, dass ergonomische Gesichtspunkte vermehrt mit einbezogen werden. So gibt es Klimaanlagen, die die Raumtemperatur vollautomatisch steuern, Jalousien die automatisch je nach Wetterverhältnissen reagieren, bis hin zu ausgefeilten digital gesteuerten Lichtkonzepten im jeweiligen Arbeitsraum. Nach wie vor sind Rückenbeschwerden weit verbreitet. So ist richtiges Sitzen neben gezielter Bewegung z. B. bei Bürotätigkeiten wichtig. Für Beschäftigte in Unternehmen ohne festen Büroarbeitsplatz bleibt aber das individuelle Einstellen eines Drehstuhles meistens auf der Strecke. Hier könnte eine App helfen, in der die Daten über Größe, Sitzhöhe etc. erfasst sind. Diese Daten würden an den jeweiligen Stuhl und ggf. auch Schreibtisch übertragen werden, damit sich diese automatisch perfekt einstellen[1].
Belastend ist häufig auch die Flut an Mails. Auf der einen Seite will der Mensch informiert werden und auf der anderen kann er die Menge nicht mehr beherrschen. Hier können digitale Medien wie ein Unternehmens-Wiki auf einer entsprechenden Plattform helfen die Informationen nach Themen sortiert zur Verfügung zu stellen. Mitarbeitende können sich über selbst angelegte Filter regelmäßig über News informieren lassen, die entweder am Handy oder am PC über eine App angezeigt werden. So gehen auch die Meldungen über den neuesten Yoga-Kurs genauso wenig unter, wie die Information aus der Buchhaltung zur korrekten Fahrtkostenabrechnung oder zum jeweiligen Arbeitsthema zu dem man womöglich auch eigene Beiträge einstellen kann. Über eine mögliche Chatfunktion könnte man sich zudem mit anderen zu interessanten Themen austauschen oder zu Veranstaltungen per einfachem Click anmelden. Das wirkt sich positiv auf das Kooperationsklima aus und erweitert auch wieder den Handlungsspielraum.

Kritisches zu digitalisierter Verhältnisprävention

In einer Welt in der räumlich und zeitlich flexibel gearbeitet wird, erreichen ergonomisch ausgefeilte Raumkonzepte nicht mehr alle Mitarbeitenden oder nur noch an manchen Arbeitstagen. Und unabhängig davon können sich digitale Klimakomplettlösungen belastend auswirken. So hat ein Unternehmen die Rechnung ohne den Menschen gemacht. In keinem Büro (Einzelarbeitsplätze) war „gefühlt“ das Klima passend. Die Temperatur war ok und es war auch keine Zugluft zu messen. Aber es zog und basta! Auch die Jalousien gingen zu völlig unpassenden Zeitpunkten hoch und runter und dass die Fenster nicht zu öffnen waren… Hier greift die Theorie der kognizierten Kontrolle[2], nach der der Mensch bestrebt ist, Ereignisse zu erklären, zu beeinflussen und vorherzusagen. Noch sind wir es gewohnt, auf das Raumklima selbst Einfluss zu nehmen. Eine komplette Umstellung auf vollautomatische Prozesse, kann daher eine massive psychische Fehlbelastung erzeugen.

Fazit

Es gilt 1. sicherzustellen, dass die Beschäftigten auch außerhalb der Organisation mit ergonomischen Arbeitsmitteln ausgestattet sind und 2. einen Ansatz zu leben, der die digitalen Möglichkeiten nutzt, aber dem Beschäftigten noch die Möglichkeit gibt einzugreifen. 3. ist eine App/Plattform zur Kommunikation, gezielten Information etc. zu begrüßen. Tele-Mitarbeitende können so auch besser in die Organisation eingebunden werden. Der persönliche Austausch sollte hierdurch jedoch weder ersetzt noch eingeschränkt werden.

[1] Hypothese – bisher gibt es noch keine solche App auf dem Markt

[2] Frey 1985

 

Quellen/Literatur:

  • Studie der TU Braunschweig "Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA)": http://www.charismha.de/
  • Digitales Betriebliches Gesundheitsmanagement, 2018, David Matusiewicz & Linda Kaiser Hrsg.
  • iga.Wegweiser: Apps, Blogs und Co. – Neue Wege in der betrieblichen Gesundheitsförderung, 2016
  • Prävention 4.0, 2018, Oleg Cernavin, Welf Schröter & Sascha Stowasser Hrsg.
  • Arbeitswelt der Zukunft, 2018, Harald R. Fortmann, Barbara Kolocek Hrsg.

Juni 2020

 

 

 

 

 

 

 

 

Teil II zu E-Health und Datenschutz veröffentlicht in VDSI aktuell 3/2020 (Juni) ist auch auf der Fachbereich Psyche Seite des VDSI zu lesen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zu E-Health und Datenschutz - Teil II - veröffentlicht in VDSI aktuell 3/2020 (Juni) geht es hier